Petrit Halilaj – ABETARE

Petrit Halilaj – ABETARE

Petrit Halilaj, ABETARE, Kölnischer Kunstverein, 2015, Installationsansicht, Foto: Simon Vogel

Bitte beachten Sie die Unterbrechung in der Ausstellungszeit: 17. April – 7. Juni 2015 / 18. Juni – 2. August 2015

Die Basis der künstlerischen Arbeit von Petrit Halilaj (*1986) bildet dessen noch junger Lebensweg, der maßgeblich von der Geschichte seines Heimatlandes Kosovo bestimmt ist. In Installationen, Zeichnungen, und Filmen setzt er sich mit den Erfahrungen seiner Kindheit und Jugend auseinander und untersucht mit großem Einfühlungsvermögen Themenkomplexe wie Heimat, Erinnerung und Identität. Dabei verbindet sich mit den Arbeiten des Künstlers, die der Welt eines Geschichtenerzählers entsprungen zu sein scheinen, immer etwas Allgemeingültiges so dass sie den Betrachter unabhängig von dessen Bezug zur jüngeren Geschichte Südosteuropas ansprechen und nachhaltig berühren.

Für die Ausstellung im Kölnischen Kunstverein entwickelte Halilaj eine umfangreiche Werkgruppe, die sich auf dessen ehemalige Schule in dem kosovarischen Dorf Runik bezieht.
Die Neuproduktion umfasst einen Film, unzählige Skulpturen sowie eine Rauminstallation, die auf das gesamte Gebäude des Kölnischen Kunstvereins verteilt sind, aufeinander verweisen und sich gegenseitig ergänzen. Die früheste Annäherung an den Themenkomplex repräsentiert der im Kino gezeigte Film, dessen Ausgangsmaterial im Jahr 2010 eher zufällig entstand und das Schulgebäude einen Tag vor dessen Abriss zeigt. Halilaj dokumentiert wie junge Schüler von ihren Erinnerungen an die Lehranstalt berichten und dabei die Baustelle erkunden. Passagen lassen zunächst die Neugierde und Freude auf die Veränderungen sowie den kommenden Schulneubau erkennen. Ohne die Präsenz der respekteinflößenden Lehrer wandelt sich das Verhalten der Kinder und Jugendlichen jedoch in eine Form von Aggressivität: Fensterscheiben werden zerschlagen, Bilder von der Wand gerissen oder Farbe an die Wände der Klassenräume gespritzt. Es ist das nicht unvertraute Spiel mit dem Verbotenem, das Momente der Infragestellung und der Auflehnung widerspiegelt.

Ganz ähnliche Aspekte klingen in den im Pavillon, Treppenhaus sowie im Atrium des Kölnischen Kunstvereins präsentierten Arbeiten an, die Petrit Halilaj anhand der ehemaligen Bänke und Tische seiner Schule entwickelte. So widmete sich der Künstler den Kritzeleien, Zeichnungen und Schriftzügen, die Schüler einstmals auf dem Inventar der Klassenzimmer hinterließen. Halilaj bildete diese Setzungen stark vergrößert, aus dünnen Stahlstangen nach und transformierte auf diese Weise die sich in den unerlaubten Hinterlassenschaften widerspiegelnde Grenzüberschreitung in etwas Schöpferisches. Dabei bewahren die Objekte trotzt ihrer skulpturalen Form einen eindeutig grafischen Charakter und entfalten in den verschiedenen Bereichen des Gebäudes die Wirkung von filigranen Zeichnungen im Raum. Die verarbeiteten Motive, u.a. Häuser, Herzen, Vögel, Blumen, Autos, Flugzeuge, Raketen oder Gewehre, zeugen von den Hoffnungen, Sehnsüchten und Träumen genauso wie von den Zweifeln, Ängsten und Sorgen der damaligen Kinder und Heranwachsenden.

Wie vielfältig die Gedankenwelt der Schüler von Runik war, lässt sich im Rahmen einer Betrachtung der ursprünglichen Tische und Bänke nachvollziehen, auf denen sich eine schier unüberschaubare Zahl von Markierungen und Zeichen finden lassen. Petrit Halilaj hat einen Teil des Klasseninventars im Untergeschoss des Kölnischen Kunstvereins zu einer Installation zusammengefasst, wobei er einige der Schulbänke akkurat in Reih und Glied platzierte, während andere zu einem unübersichtlichen Stapel angehäuft wurden. Darüber hinaus hat der Künstler einer kleinen Anzahl von Tischen und Bänken ein besonderes Eigenleben gegeben, das diese von ihrem Dasein als reine Vorbilder befreit: eine Schulbank scheint von skulpturalen Linien gewissermaßen gekapert zu werden, während zwei weitere Repräsentanten des Inventars im Treppenhaus des Gebäudes ins Unerreichbare anwachsen.

Autorität, Normen und Kanons, ihre Akzeptanz wie auch der Widerstand gegen sie, lassen sich als übergeordnete Themen der Ausstellung lesen. Während in dem Film und in den verschiedenen Skulpturen die Wechselwirkung von Annahme und Ablehnung erahnbar wird, rückt die Installation im zweiten Obergeschoss des Kölnischen Kunstvereins ihre Grundlagen in den Vordergrund. Für diese Arbeit hat Petrit Halilaj den gesamt Raum mit einer Tapete ausgestattet, die die erste Fibel des Künstlers, die Titel gebende Publikation ABETARE, zeigt. Seite für Seite des Buches sind an den Wänden erkundbar und rufen den vertrauten Prozess des Lernens vor Augen, wobei neben dem Alphabet ebenfalls die Grundlagen der Gesellschaft vermittelt werden.

Zeitgleich zu der Schau im Kölnischen Kunstverein, richtet die Kunst- und Ausstellungshalle der Bundesrepublik Deutschland, Bonn ebenfalls eine umfassende Präsentation von Petrit Halilaj aus.

Mit freundlicher Unterstützung der Alfried Krupp von Bohlen und Halbach-Stiftung.