Jay Chung & Q Takeki Maeda – The Auratic Narrative

Jay Chung & Q Takeki Maeda – The Auratic Narrative

Jay Chung & Q Takeki Maeda, Ohne Titel, 2014

Eröffnung am 11. April 2019, 19 Uhr
um 21 Uhr Moulting, Diashow mit den Künstlern


Organisiert man eine Ausstellung, die einen Überblick über das Gesamtwerk eines*r Künstler*in geben soll, so geschieht dies üblicherweise in Form einer Geschichte. Diese Geschichte enthält für gewöhnlich die Geburt der Künstlerin („Geboren im ländlichen Rumänien“), einen richtungsweisenden Moment in ihrer Karriere („Sie zog dann nach Paris, wo sie ihre philosophischen Studien an der Sorbonne fortsetzte“), und eine Phase des Strebens nach künstlerischem, kulturellem oder politischem Erfolg („Diese Identitäten prägen seine Arbeit seit über 30 Jahren“i). Diese Berichte von individueller Entwicklung sind – wenn auch sachlich korrekt – konstruiert, oder genauer gesagt: werden von Kunstfachleuten fabriziert und aufrechterhalten. In einem Interview über die gesellschaftlichen Auswirkungen von quantitativen Metriken spielt der Soziologe Steffen Mau auf diese Praxis an, indem er darlegt, dass „fiktionale Erwartungen“ für Künstler*innen „hauptsächlich über eine Story im Stile einer auratischen, in der Zukunft eintretenden Erfolgsgeschichte“ hergestellt werden. Er fährt fort:

[So] wird man in der jeweiligen Künstlerpersönlichkeit etwas sehen, was noch vollkommen vage und spekulativ ist, aber in Zukunft dazu führen kann, dass sie eine bestimmte Marktposition und eine bestimmte Bewertung am Markt erfahren wird. Es geht um eine dynamische Aufwärtsbewegung von Reputation, eine Positivvision. Das Erzählen dieser Storys bedarf nach wie vor der Expertenkultur, also professioneller Kritiker/innen, Kunstvermarkter/innen oder -vermittler/innen und Berater/innen.ii

Maus Einschätzung ist angelehnt an die Arbeit des Soziologen Olav Velthuis, dessen Buch Talking Prices eine Studie der Prinzipien zur Bepreisung zeitgenössischer Kunst darstellt. Laut Velthuis sind es Narrative archetypischer Art (z.B. Tragödie, Erfolgsgeschichte, Bildungsroman), die – im Gegensatz zu ökonomischen Gesetzen wie Angebot und Nachfrage – die Kunstmarktpreise bestimmen. Thema dieser Geschichten sind sowohl Individuen als auch Entwicklungen in dem Bereich als Ganzem. Wie Mau hebt auch Velthuis hervor, dass diese Narrative kollektiv von Menschen, die mit Kunst arbeiten, erzählt und nacherzählt werden, wobei er zugleich ihren fiktiven Charakter betont. Er schreibt: „Es geht nicht darum, ob dieses Narrativ bzw. die, die folgen werden, wahrheitsgetreu in Bezug auf die historische Wirklichkeit sind oder nicht. Im Grunde muss ihr Wahrheitsgehalt als zumindest fragwürdig eingestuft werden.“iii

Solche Narrative tragen zur immateriellen Qualität von Einzigartigkeit und Authentizität bei, die sowohl in Kunstwerken als auch bei Künstlerpersönlichkeiten wahrgenommen wird, der „Aura“, so der von dem Literaturkritiker Walter Benjamin geprägte Begriff. Die Erfahrung dieses Phänomens, abstrakt und ungreifbar per Definition, ist aufgeladen mit Widersprüchen und Zweideutigkeit. Beispielsweise wird einerseits weithin akzeptiert, dass zeitgenössische Kunst ein gänzlich professionalisiertes Feld ist, auf dem das Kunstschaffen, ebenso wie eine Reihe damit verbundener Beschäftigungen zu dem Zweck unternommen werden, spezifische begleitende Ergebnisse zu erreichen. Andererseits wird auch angenommen – aber selten offen ausgesprochen –, dass Visionen vom aktuellen oder zukünftigen Stellenwert eines*r Künstler*in noch nicht oder niemals wahr werden könnten (wie die Formulierung „fiktionale Erwartungeniv andeutet).
Gleichermaßen werden die charakteristischen Qualitäten der Arbeit und Biographie eines*r Künstler*in als Produkt nur eines einzigen Individuums gesehen, während selten anerkannt wird, dass sie in Wirklichkeit dem Objekt oder Individuum zuteilwerden und in diesem Sinne der kollektive Ausdruck der gemeinsamen Ansichten, Werte und gelebten Erfahrungen der diskursiven Kunst-Welt sind.

Die Ausstellung wurde kuratiert von Nikola Dietrich.

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The Auratic Narrative, eine Ausstellung mit Arbeiten von Jay Chung und Q Takeki Maeda, läuft vom 12. April bis zum 23. Juni 2019.


i Alle Zitate in Klammern entstammen Ausstellungsbeschreibungen auf der Website des MoMA, Museum of Modern Art, New York, https://www.moma.org, Stand März 2019.
ii Steffen Mau und Uwe Vormbusch, „Likes statt Leistung. Ein Gespräch zwischen Uwe Vormbusch und Steffen Mau über die fortschreitende Quantifizierung des Sozialen.“ Texte zur Kunst 110 (Juni 2018), https://www.textezurkunst.de/110/likes-and-performance.
iii Olav Velthuis, Talking Prices, Symbolic Meanings of Prices on the Market for Contemporary Art (Princeton University Press, 2005), 145.
iv Siehe auch Jens Beckert, Imagined Futures: Fictional Expectations and Capitalist Dynamics (Cambridge, Massachusetts: Harvard University Press, 2016), 93: „Die Fiktionalität von literarischen Texten wir darüber hinaus offen kommuniziert, während sie im Falle fiktionaler Erwartungen verborgen bleibt.“


Mit freundlicher Unterstützung von:

Weiterer Dank an Gaga, Mexiko-Stadt und Los Angeles; ESSEX STREET, New York; Galerie Francesca Pia, Zürich; Cabinet Gallery, London; Galerie Isabella Bortolozzi, Berlin. Wir danken auch Frau Lauffs-Wegner für Ihre Unterstützung des Künstlerbuches Letters, das zur Ausstellung erschienen ist.

Weitere Information werden regelmäßig über unseren Newsletter bekannt gegeben.


Programm:

11. April 2019, 21 Uhr
Moulting (2019), Diashow mit Jay Chung und Q Takeki Maeda

14. Mai 2019, 11 – 18 Uhr
Moulting (2019), Diashow von Jay Chung und Q Takeki Maeda

28. Mai 2019, 19 Uhr
Show and Tell # 1
Scalalogia and The Wheel of Life (2019), Book Launch mit Jasmin Werner und einem Vortrag von Philipp Kleinmichel zusammen mit einem Konzert von pogendroblem

Show and Tell ist eine fortlaufende, vom Ausstellungsprogramm unabhängige Veranstaltungsreihe mit verschiedenen Formaten. Eingeladen werden wechselnde Gäste, darunter Künstler*innen, Autor*innen und Musiker*innen.

6. Juni, 2019, 19 Uhr
Letters (2019) und Jay Chung and Q Takeki Maeda x Teruo Nishiyama (2017), Double Book Launch mit Jay Chung und Q Takeki Maeda

19. Juni 2019, 19 Uhr
Vorführung eines Films der Regisseure Lev Kalman und Whitney Horn

Führungen am Donnerstag durch die Ausstellung

25. April 2019, 17 Uhr mit Miriam Bettin
23. Mai 2019, 17 Uhr mit Lukas Flygare (in englischer Sprache)
6. Juni 2019, 17 Uhr mit Nikola Dietrich

Führungen am Sonntag durch die Ausstellung

19. Mai 2019, 15 Uhr mit Jasmin Werner
23. Juni 2019, 15 Uhr mit Jasmin Werner