Emma LaMorte – Aussicht

Emma LaMorte – Aussicht

Emma LaMorte, 2020.

In ihrer ersten institutionellen Einzelausstellung nimmt sich Emma LaMorte der Architektur des Kölnischen Kunstvereins an: Mit ihren textilen Arbeiten, Performances, Texten und Installationen reagiert sie auf gegebene Räume und architektonische Strukturen, um sie zu ergänzen, zu verfremden oder zu verdecken. Im Studio, einem Projektraum mit Lichthof im zweiten Stock des Gebäudes, schafft die Künstlerin ein raumgreifendes gestepptes und genähtes Textilwerk. In Referenz auf den Ort bildet sie Elemente des realen Außenraums nach, integriert sie in eine fiktive Landschaftskulisse und schafft eine Umkehrung von Innen und Außen.

Die vierteilige Szenerie aus insgesamt elf Paneelen zeigt eine felsige Meeresküste und eine ländliche Gegend zu vier verschiedenen Tageszeiten, welche in Lichtstimmung und Farbigkeit variiert. Emma LaMortes Bildmotiven liegt eine Faszination für Gotik, Fantasie, Kitsch, Fetisch und Naturromantik zu Grunde. Die Werkserie Aussicht (2020) verzichtet auf das Figurative zugunsten einer allegorischen Landschaftsdarstellung, in der die Position der Betrachter*innen der 360-Grad-Perspektive auf einem Aussichtsturm entspricht. Die Beschäftigung mit der Aussicht – der sehnsuchtsvolle Blick nach draußen in die Ferne oder in die Zukunft – ist ein wiederkehrendes Sujet in Bildender Kunst und Literatur vor allem zur Zeit der deutschen Romantik und ruft unmittelbar die Bildwelt Caspar David Friedrichs wach.

Die auf Keilrahmen gespannten, dem Patchwork entlehnten Collagen entziehen sich einer einfachen Klassifizierung als „Textilkunst“: durch die grobe und improvisierte Verarbeitung, die Vielfalt der Formsprache, Haptik und Motivik sowie die nostalgische Ästhetik erscheinen sie ungewöhnlich raum- und zeitlos, verortet in einer Dichotomie zwischen absoluter Gegenwart und Historizität. Gleichsam zählt das textile Material zu einer Handwerkskunst, die traditionell Frauen zugeordnet ist. In der Auseinandersetzung mit Fragen der Ökonomie beleuchtet Emma LaMorte historisch geprägte geschlechtsspezifische Arbeitsteilung (emotionale Arbeit, Fürsorge, Haushalt, Mutterschaft auf der einen Seite, Geldarbeit, Karriere, Profilierung und Prestige auf der anderen) sowie die Diskrepanz ihrer jeweiligen Wertigkeit und Anerkennung in der Gesellschaft. In der medialen sowie inhaltlichen Beschäftigung mit tradierten, reaktionären Geschlechterrollen blickt die Künstlerin auf Mechanismen des öffentlichen sowie privaten Raums, die diese festigen und aufrechterhalten: patriarchalische Infrastrukturen, diskriminierende Arbeitsökonomien, struktureller Sexismus und Gewalt.

Zur Ausstellung im Kölnischen Kunstverein ist eine Publikation mit Texten der Künstlerin Rosa Aiello und Werkansichten der gezeigten Arbeiten erschienen (Grafik: Thomas Spallek). Das Medium Text ist integraler Bestandteil Emma LaMortes Praxis und erweitert die szenografische Kulisse aus improvisierter Stepptechnik um Erzählungen. Die Wiederholung der Wandpaneele findet sich als Stilmittel in den Texten Aiellos wieder. Der tageszeitliche Rhythmus und die Abfolge beschreiben eine häusliche Routine, in der Zeitlichkeit variabel ausgedehnt oder verkürzt wird. Emma LaMorte hinterfragt, wie Zivilisation und soziale Strukturen geformt und gestaltet – und wie sie wieder zerstört werden – und erschafft eine Zukunftsvision, die aussichtsreich oder aussichtslos sein kann.

Die Ausstellung wird begleitet von einem Rahmenprogramm aus Lesung, Lecture Performance, Kinderworkshop, Tarot Workshop und einer Radioshow von wechselnden Gästen, unter ihnen die Künstler*innen Rosa Aiello, Bitsy Knox und Benjamin Marvin, die Autorin Jessa Crispin und die Musikerin Laura Sparrow.

Emma LaMorte (*1984 in Victoria B.C., Kanada) lebt und arbeitet in Berlin. Sie erhielt einen Master of Fine Arts am Royal Institute of Art in Stockholm, Schweden. Zuletzt wurden ihre Arbeiten in Einzelpräsentationen in der Galleri Thomassen in Göteborg (2020, zusammen mit Anders Johansson), in der Gärtnergasse in Wien (2019, zusammen mit Benjamin Marvin), bei Stadium (2018) und Ashley (2017), beides in Berlin, sowie im Rahmen von Gruppenausstellungen bei Polansky in Prag (2019), Braunsfelder in Köln (2018), Sm in Marseille (2018), Hotdock in Bratislava (2018), INDUSTRA in Brno (2018) und Decad in Berlin (2018) gezeigt.

Die Ausstellung ist Teil von Kanadas Kulturprogramm als Ehrengast der der Frankfurter Buchmesse 2020. Sie wird unterstützt durch das Canada Council for the Arts und die Regierung von Kanada.

Kuratorin: Miriam Bettin

Mit freundlicher Unterstützung von: